Ausgangssituation
In den
vergangenen 10 Jahren hat sich im Bereich der stationären Altenhilfe, u. a.
durch das Inkrafttreten des Pflegeversicherungsgesetzes, dessen in diesem
Zeitraum erfolgte Novellierungen, aber auch durch die Novellierung des Heimgesetzes
vieles zum Positiven entwickelt: So haben z. B. pflegebedürftige Menschen und
ihre Angehörigen durch die Einführung des Pflegeversicherungsgesetzes eine
spürbare Entlastung erfahren, Versicherungsschutz für das Risiko bei Pflegebedürftigkeit
wurde - wenn auch nur partiell - gewährt, die Pflegeinfrastruktur erfuhr einen
deutlichen Auf- und Ausbau, es hat eine Professionalisierung von Pflege statt
gefunden, Qualitätssicherungs- und Qualitätsmanagementinstrumente haben Eingang
in Pflegeeinrichtungen gefunden und die Qualität pflegerischer Arbeit
wesentlich gesteigert. Nicht zuletzt wurde der Schutz von Heimbewohnerinnen und
Heimbewohnern verbessert und deren Selbstbestimmung gestärkt.
Diese
positiven Entwicklungen hatten aber auch Nebeneffekte: Die aus der Umsetzung
der genannten Gesetze und ihrer zugehörigen Verordnungen resultierende Zahl an
Vorschriften, Vereinbarungen und verfahrensmäßigen Regelungen hat inzwischen
ein solches Ausmaß angenommen, dass von verschiedenster Seite Forderungen nach
einem Abbau von Bürokratie laut werden.
Die
beiden Arbeitsgemeinschaften nehmen die derzeit geführte Entbürokratisierungsdebatte
zum Anlass, aus Sicht ihrer angeschlossenen Einrichtungsträger Stellung zu
beziehen und Vorschläge zu einer strukturellen Weiterentwicklung der im Bereich
stationärer Altenpflegeeinrichtungen relevanten gesetzlichen Rahmenbedingungen
zu unterbreiten.
Wir
lehnen es ab, den Begriff "Entbürokratisierung" mit Kosten- bzw.
Standardabsenkung gleichzusetzen, wie in der baden-württembergischen Bundesratsinitiative
zum Bürokratieabbau (BR-Drucksache 709/04) bezüglich der geplanten Reduzierung
der Fachkraftquote in Heimen geschehen. Wir wollen die Diskussion um den Abbau
von Bürokratie auch nicht verkürzen auf einzelne Facetten wie z. B. den Dokumentationsaufwand
in der Pflege. Ein solcher Ansatz, der versucht, über Veränderungen oder
Nachbesserungen bei einzelnen gegebenen Strukturelementen von Bürokratie zu
entschlacken, ist unseres Erachtens wenig zielführend. Unser Anliegen ist es,
das System der Altenhilfe als Ganzes in den Blick zu nehmen und darauf hinzuwirken,
dass der bürokratische Aufwand in stationären Altenhilfeeinrichtungen insgesamt
reduziert wird mit der Zielsetzung, Zeitanteile für verwaltungsmäßige und
organisatorische Aufgaben an den verschiedensten Stellen zu verringern und
damit wieder mehr zeitliche Ressourcen für direkte Pflege und Betreuung von Bewohnerinnen
und Bewohnern zur Verfügung zu haben.
Leistungsrechtliche
Perspektiven: das Pflege-Versicherungsgesetz und das Pflege-Qualitätssicherungsgesetz
Die
gesetzlichen, insbesondere aus dem Pflege-Versicherungs- bzw.
Pflege-Qualitätssicherungsgesetz resultierenden Qualitäts- und
Dokumentationsanforderungen halten wir für nötig. Sie sind ein wichtiges
Instrument zur internen wie auch externen Qualitätssicherung. Sie dienen der
Nachweispflicht und sind damit z. B. hilfreich bei der Klärung haftungsrechtlicher
Fragen (auch wenn in diesem Zusammenhang teilweise aus Gründen des
Eigenschutzes unverhältnismäßig aufwendig dokumentiert wird). Sie geben aber
auch Auskunft über ein bestimmtes Qualitätsniveau und bilden die Grundlage für
Zertifizierungen.
Dennoch
muss zu einigen Regelungen des Pflege-Qualitätssicherungsgesetzes kritisch
Stellung bezogen werden. Die ursprüngliche Intention des Gesetzgebers ist, was
die beiden Instrumente "Leistungs- und Qualitätsnachweis" (§ 113 SGB
XI) und "Leistungs- und Qualitätsvereinbarungen" (§ 80a SGB XI)
betrifft, sicherlich als positiv zu bewerten. Zur Umsetzung von Leistungs- und
Qualitätsnachweisen ist es aber bis zum heutigen Tag nicht gelungen, eine
entsprechende Regelung bzw. Verordnung zu schaffen. Das Instrument kann deshalb
unseres Erachtens ersatzlos aus dem Gesetz gestrichen werden. Die Aushandlung
von Leistungs- und Qualitätsvereinbarungen bereitet der Selbstverwaltung große
Schwierigkeiten. Es werden häufig Inhalte in die Vereinbarungen aufgenommen,
die bereits an anderer Stelle gegenüber den Verhandlungspartnern dokumentiert
sind (z.B. im Versorgungsvertrag, in Leistungsbeschreibungen). Oder es werden -
so im Fall von Baden-Württemberg - im Wesentlichen Personalmengenvereinbarungen
abgeschlossen, die auf der Basis des geltenden Rahmenvertrages für die
vollstationäre Pflege nach § 75 SGB XI in Entgeltverhandlungen ausgehandelt
werden. Seitens der Leistungsträger wird die eigentliche gesetzliche Intention,
einrichtungsspezifische Vereinbarungen zu Leistungen, Leistungsmengen und deren
Qualität zu treffen, unterlaufen. Eine Umsetzung - wie vom Gesetzgeber
ursprünglich gewollt - ist in Baden-Württemberg deshalb bislang nicht gelungen.
Ordnungsrechtliche
Perspektiven: Das Heimgesetz
Wir
halten die ordnungspolitische Funktion des Heimgesetzes für erforderlich und
begrüßen, dass mit der jüngsten Gesetzesnovellierung Selbstbestimmungsaspekte
von Betroffenen und der Bewohnerschutz einen höheren Stellenwert erhalten
haben. Was die Intention des Heimgesetzes als Bundesgesetz betrifft, gibt es
einen gesetzlichen Rahmen mit entsprechenden Spielräumen vor. Leider zeigt die
Praxis, dass diese Spielräume durch landesrechtliche Regelungen teilweise stark
eingeengt werden: so z. B. durch den baden-württembergischen Kriterienkatalog
für die Heimaufsichtsprüfung. Erschwerend kommt hinzu, dass die unteren
Heimaufsichtsbehörden kein einheitliches Vorgehen im Kontext von Prüfungen und
Nachweispflichten an den Tag legen. Im Extremfall kann dies dazu führen, dass
verschiedenen Landkreisen zugeordnete Einrichtungen eines Trägers bei
Begehungen und festgestellten Mängeln unterschiedlich behandelt werden. De
facto verursachen solche Diskussionen und Auseinandersetzungen von
Einrichtungsträgern mit der Heimaufsicht zum Teil einen immensen zeitlichen und
bürokratischen Zusatzaufwand.
Klare
Abgrenzung der Prüfinhalte von Heimaufsicht und Medizinischem Dienst der
Krankenkassen
Prüfungen
durch die Heimaufsicht und den Medizinischen Dienst der Krankenkassen halten
wir für notwendig, allerdings mit der Einschränkung, dass eine klare Abgrenzung
hinsichtlich der jeweiligen Prüfinhalte erfolgen muss. Eine Doppelung von
Prüfinhalten muss unter allen Umständen vermieden werden, denn wenn in der
Praxis Prüfinstanzen zum Teil identische Sachverhalte prüfen, resultiert
hieraus ein unnötiger zusätzlicher Aufwand für die betroffenen Einrichtungen
und ihre Mitarbeiter/innen. Außerdem käme es bei einer klaren Trennung der
Prüfzuständigkeiten auch nicht mehr zu unterschiedlichen fachlichen
Beurteilungen und Bewertungen zwischen den Vertretern von Heimaufsicht und
Medizinischem Dienst. Gute Pflege braucht keine doppelten Prüfungen. Wir begrüßen
es, dass der Medizinische Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen derzeit
Prüfungsrichtlinien erarbeitet, die in einer bundeseinheitlichen Prüfanleitung
münden sollen. Gleichzeitig fordern wir eine klare Abgrenzung der Prüfbereiche
von Heimaufsicht und Medizinischem Dienst der Krankenkassen analog des
gesetzlichen Auftrags, d.h. die Heimaufsichtsbehörden sollten sich auf die
Prüfung ordnungsrechtlicher Vorgaben beschränken. (Anmerkung: Die im sog.
Kriterienkatalog enthaltenen Prüfkompetenzen der Heimaufsicht gehen diesbezüglich
in Baden-Württemberg zu weit.) Dagegen sollte der Medizinische Dienst der
Krankenkassen leistungsrechtliche Aspekte zum hauptsächlichen Prüfgegenstand
haben, da in seinen Reihen die nötige pflegefachliche Kompetenz vorhanden ist.
Lebensweltorientierung
im Pflegeheim in Frage gestellt
Nach
unseren Beobachtungen besteht im Allgemeinen eine starke Tendenz, alle Eventualitäten,
die in einem Pflegeheim vorkommen könnten, reglementieren zu wollen.
Anforderungen an den Betrieb einer stationären Pflegeeinrichtung werden so hoch
gesetzt (z. B. hygienische Anforderungen ähnlich dem Krankenhausbereich, vor
allem auch im Hinblick auf die Umsetzung neuer Wohngruppenkonzepte wie Hausgemeinschaften
und dgl.), dass die Schaffung einer echten Wohn- und Lebenswelt für die
Heimbewohnerinnen und -bewohner kaum zu realisieren ist. Pflegeheime sind nicht
bloßer Aufenthaltsort für Pflegebedürftige, sondern sie sollen dazu beitragen,
eine gute Wohnatmosphäre zu schaffen, die auch Dimensionen von Lebensqualität
beinhaltet. Dazu gehört auch, dass Bewohnerbedürfnissen verstärkt Rechnung
getragen wird. Bei einer weitgehenden Reglementierung verschiedenster Maßnahmen
besteht die Gefahr, dass der Gesamtkontext aus dem Blick gerät und damit das
Ziel, ein Pflegeheim als Lebenswelt zu gestalten, verfehlt wird.
Pflegeheime
haben eine Vielzahl gesetzlicher Bestimmungen zu erfüllen, die verschiedensten
Behörden und Kontrollorgane (Heimaufsichtsbehörde, Medizinischer Dienst der
Krankenkassen, Gesundheitsamt, Brandschutzbehörde, Wirtschaftskontrolldienst,
...) übernehmen direkte Kontrollfunktionen. Neben diesen direkten Überprüfungen
und Kontrollen gibt es auch indirekte Kontrollmechanismen: So fungieren z.B.
pflegende Angehörige, Heimbesucher, aber auch die Öffentlichkeit als
Kontrollinstanzen. Bereits heute kann von einer Überregulierung des stationären
Altenhilfebereichs gesprochen werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass lediglich
ein Drittel aller Leistungsempfänger der Pflegeversicherung in stationärem Umfeld
leben und damit dem beschriebenen hohen rechtlichen Regelungsgehalt unterliegen.
Zwei Drittel aller Pflegebedürftigen nach SGB XI werden in der Häuslichkeit,
durch Familienangehörige, selbst beschaffte Pflegekräfte und/oder ambulante
Pflegedienste betreut. Auch in diesem Feld können nicht sämtliche Lebensrisiken
ausgeschlossen werden und jede/r hat ein Stück Eigenverantwortung zu tragen.
Schließlich
fordern wir als Einrichtungsträger - neben einer längst fälligen Anpassung
gesetzlicher, im Heimgesetz und im Pflege-Versicherungsgesetz enthaltenen
Regelungen (Bsp. unterschiedliche Aussagen zur Verbindlichkeit von Entgelterhöhungen)
- auch eine stärkere Flexibilisierung. Die geltenden Gesetze und das stringente
Sektorendenken (Trennung zwischen ambulanter, teilstationärer und
vollstationärer Versorgung) erschweren beispielsweise die Erprobung neuer Wohnkonzepte.
Aber auch die Umsetzung innovativer Ideen von Heimträgern - z. B. weg von den
in der stationären Pflege zur Verfügung gestellten Vollversorgungspaketen hin
zu einer stärkeren Flexibilisierung mit Wahlmöglichkeiten in Bezug auf das
gebotene Leistungsspektrum - werden aufgrund gesetzlicher Vorgaben behindert.
Bürokratie verhindert an dieser Stelle Entwicklungsmöglichkeiten und Innovationen.
Obwohl
hinsichtlich mancher Regelungen von gesetzlicher Seite bereits Voraussetzungen
für Flexibilisierung gegeben sind, wird deren Anwendung bzw. Umsetzung in der
Praxis nicht selten erschwert. Es ist zu beobachten, dass die untersten
Heimaufsichtsbehörden teilweise sehr stringent die Einhaltung der
Fachkraftquote von 50 % kontrollieren. Die nach § 5 Abs. 2 Heimpersonalverordnung
mögliche Befreiung von der 50 %-Quote, die den Heimen in Abhängigkeit von ihrer
jeweiligen Bewohnerstruktur und dem zugehörigen Betreuungskonzept
Flexibilisierungsmöglichkeiten bietet, wird dagegen nur selten oder nur nach
harten Auseinandersetzungen zugelassen. Auch dies ist ein Punkt, an dem
unnötige bürokratische Hemmnisse aufgebaut werden.
Damit
wir als Altenhilfeträger künftig den Heimbewohnerinnen und -bewohnern nicht nur
Versorgungsqualität, sondern auch Wohn- und Lebensqualität bieten können,
benötigen wir einen Systemwechsel in den gesetzlichen Rahmenbedingungen. Es
muss seitens der Sozialpolitik und der Verhandlungspartner der Mut gefunden werden,
von der Vielzahl an Reglementierungen und der Kontrollflut wegzukommen hin zu
mehr Selbstverpflichtung der Träger und damit einer Stärkung der Eigenverantwortung
(Rolle von internem und externem Qualitätsmanagement). In Einrichtungsträger
sollte grundsätzlich wieder mehr Vertrauen gesetzt werden, trotz in Einzelfällen
aufgedeckter Mängel und Unzulänglichkeiten in Pflegeheimen. Es reicht unseres
Erachtens aus, wenn den Heimträgern vom Gesetzgeber strukturelle Anforderungen
in beschränktem Umfang und im Falle von deren Nichterfüllung Sanktionsmöglichkeiten
vorgegeben werden. Zu einem Systemwechsel gehört auch eine klare Trennung und
Abgrenzung von Ordnungs- und Leistungsrecht, insbesondere in der Umsetzung
diverser Regelungen.
Fazit
Zusammenfassend
halten wir fest:
* Unter
Entbürokratisierung verstehen wir keine Standardabsenkung in der Versorgung und
Betreuung von Heimbewohnerinnen und -bewohnern. Uns liegt daran, Qualität zu
sichern und dabei den bürokratischen Aufwand insgesamt abzubauen, um wieder
mehr Zeitressourcen für pflegenahe Aufgaben zur Verfügung zu haben.
* Wir
plädieren auch weiterhin für externe Kontrollen - allerdings unter der
Voraussetzung, dass diese auf fachlich fundierten Grundlagen beruhen, Prüfinhalte
verschiedener Prüfinstanzen gemäß ihres gesetzlichen Auftrags klar voneinander
abgegrenzt und für eine Qualitätssteigerung in unseren Einrichtungen förderlich
sind.
* Wir
halten eine Systemänderung im Sinne einer Stärkung der Selbstverpflichtung und
Eigenverantwortung von Trägern für dringend geboten. Korrekturen an einzelnen
gesetzlichen Vorgaben werden uns bei der bestehenden Regelungsdichte - insbesondere
im stationären Altenhilfebereich - nicht wirklich weiter führen.
* Mit
einer noch so großen Zahl rechtlicher Vorschriften und Bestimmungen wird es
grundsätzlich nicht gelingen, sämtliche Lebensrisiken im Fall des Vorliegens
von Pflegebedürftigkeit abzusichern. Die Politik muss sich dessen bewusst werden;
sie darf dabei den Fokus nicht ausschließlich auf den stationären Altenhilfesektor
richten.
* Wir
brauchen dringend eine stärkere Flexibilisierung in den geltenden gesetzlichen
Bestimmungen, so dass die für Bewohnerinnen und Bewohner geforderte Lebensweltorientierung
im Heim Wirklichkeit werden kann und innovative Betreuungskonzepte erprobt
werden können.
Klaus
Scheuermann
Rudolf Egelhofer
Vorsitzender
AG Altenhilfe der
Vorsitzender AG Altenhilfe
der
Erzdiözese
Freiburg
Diözese Rottenburg-Stuttgart