Warum wird bei der Caritas nicht gestreikt?
Das kirchliche Arbeitsrecht ist auf Konsens ausgelegt. Entscheidungen treffen Mitarbeitende und Dienstgeber einvernehmlich in Arbeitsrechtlichen Kommissionen. Wo es unterschiedliche Auffassungen gibt, werden diese spätestens in einem Schlichtungsverfahren geklärt. Arbeitskämpfe passen nicht in diese Logik.
In nicht-kirchlichen Strukturen haben Arbeitnehmer und Arbeitgeber je ein Arbeitskampfmittel zur Hand, um auf die jeweils andere Seite den Druck ausüben: Streik und Aussperrung.
Im Dritten Weg ist die Ausgangssituation eine andere. Die Caritas ist der Wohlfahrtsverband der katholischen Kirche. Diese beruft sich in ihrem Auftrag auf Jesus, den Leitgedanken der Nächstenliebe und den christlichen Anspruch, Konflikte friedlich beizulegen. Diesen Auftrag zu verwirklichen, ist insbesondere auch die Pflicht der Dienstgeber. Deshalb können Dienstgeber im kirchlichen Arbeitsrecht keine Aussperrungen umsetzen, die zu Lasten der Menschen gehen würden, die auf die Unterstützung der Caritas angewiesen sind.
Die aus dem Gedanken der Dienstgemeinschaft gewachsene Kommissionslösung führt zu paritätisch besetzten Kommissionen, die nach regelmäßig stattfindenden Verhandlungen mit ausreichend großen Mehrheiten die Arbeitsbedingungen beschließen. Bei einer fehlenden Mehrheit kann von jeder Seite ein verbindliches Schlichtungsverfahren eingeleitet werden.
Dieses wird von zwei neutralen Vorsitzenden geleitet und verhindert, dass eine der Seiten die Verhandlungen blockieren und damit das System aushebeln könnte.
Die Druckwirkung des Schlichtungsverfahrens ist erheblich: Scheitert die gemeinsame Suche nach einer Lösung, geben die Seiten ihre Verantwortung über das Verhandlungsergebnis an den Vermittlungsausschuss ab. Seine Entscheidung ist bindend. Die Gefahr, diese Einflussmöglichkeit zu verlieren, führt zu jener Kompromissbereitschaft, die man braucht, um eine sachgerechte Lösung zu finden. Dieser Prozess ersetzt den Streik, den der Zweite Weg nutzt, um diesen Zustand der Kompromissbereitschaft zu erreichen.
Anders als im Zweiten Weg würde ein einseitiges Streikrecht im Dritten Weg kein Kräftegleichgewicht schaffen, sondern ein bereits vorhandenes Gleichgewicht stören. Damit würde die Konsensfindung in den Kommissionen massiv erschwert.